Wenn ich in Organisationen oder im Coaching mit Menschen arbeite, bin ich immer wieder erstaunt, dass Menschen und Organisationen davon ausgehen, dass ihre Wirklichkeit die einzige ist.
Unternehmensleitungen und viele Führungskräfte sind oft überrascht, zuweilen geradezu empört, wenn sie feststellen, dass Mitarbeitende ein anderes Wirklichkeitsverständnis oder einen anderen Bezugsrahmen haben als sie selbst.
Hierzu zwei Beispiele
Das erste Beispiel habe ich selbst erlebt.
Vor einigen Jahren habe ich den Auftrag erhalten, für eine befreundete Bildungsanbieterin ein Seminar durchzuführen. Wir legten das Datum, den zeitlichen Umfang und den Ort sowie das Honorar fest und ich sagte ihr zu, dass ich dafür ein Konzept entwickele und das Seminar gern durchführe. Gleichzeitig bat sie mich, das Seminar mit zu bewerben, damit es gut besucht wird.
Ich habe langjährig im Vertrieb gearbeitet und für mich bedeutete "bewerben" sowohl die persönliche Ansprache als auch eine Veröffentlichung in Social Media, was ich in der Rolle
der Dozentin tat.
Die Resonanz darauf war gut und ich leitete die Interessent*innen zur Anmeldung an meine Bekannte weiter. Diese zeigte sich irritiert und sprach mich daraufhin an, dass sie es als
unangemessen empfand, dass ich als Dozentin in Social Media werbe und ihr die Emails weiterleiten würde.
Da wir beide Profis sind, ist es uns gut gelungen, aus der Metaebene zu schauen, woraus unser unterschiedliches Herangehen resultiert.
In ihrem Bezugsrahmen bedeutete "bewerben", dass ich meine Klienten auf das Seminar anspreche und diese sich bei ihr melden, sie also die einzige Kontaktperson ist. In meinem Bezugsrahmen bedeutete "bewerben", dass ich auf allen zur Verfügung stehenden Kanälen auf das Seminar hinweise und Interessenten dann zur Anmeldung weiterleite. Ich habe aus der Vertriebs-Perspektive agiert, meine Bekannte aus der Rolle der Veranstalterin.
Im Ergebnis war das Seminar ausgebucht und wir konnten gut miteinander klären, dass ich bei einem Folgeseminar nur mündliche Ansprachen machen werde.
Das zweite kurze Beispiel habe ich beim Systemiker Bernd Schmid gefunden und finde es sehr anschaulich:
Zwei Männer A und B wollen gemeinsam wandern. Sie legen Tag und Uhrzeit fest und verabreden sich an einem Parkplatz, von wo aus sie starten wollen.
Am verabredeten Tag nieselt es. A legt ein Regencape und einen Schirm in sein Auto und startet zum vereinbarten Ort. Dort wartet er. B erscheint nicht. Nachdem A eine Stunde gewartet hat, fährt er erbost nach Hause und ruft B an. Dieser ist ganz erstaunt und antwortet "Ich bin davon ausgegangen, dass wir bei Regen nicht wandern".
Abgesehen davon, dass beide offenbar nicht verabredet hatten abzusagen, wenn einem der beiden etwas dazwischen kommt, haben A und B für "Wandern bei Regen" einen jeweils unterschiedlichen Bezugsrahmen. Für A ist der Regen ein bisschen "Nieseln", gegen das man sich durch angemessene Kleidung wappnen kann, für B ist es klar, dass man bei Regen nicht wandert, zu ungemütlich, zu rutschig, zu gefährlich.
Fragen und Sprechen hilft
Übertragen auf Organisationen heisst dies vereinfacht, dass vor der Einführung von Veränderungen oder Neuerungen, bei Auflegen von Projekten viel mehr Kommunikation und Klärung erfolgen muss.
Fragen stellen, Verständnis und unterschiedliche Sichtweisen klären, um daraus folgend eine gemeinsame Wirklichkeit herzustellen
Der Bezugsrahmen
Die Transaktionsanalyse kennt den Begriff des Bezugsrahmens. Er beschreibt die Wirklichkeitskonstruktion eines jeden Menschen, wie er sich selbst, die anderen und die Welt aufgrund seiner Erfahrungen und Sozialisation sieht.
Man kann sich diesen Bezugsrahmen wie einen Bilderrahmen um ein Bild vorstellen, das Bild wird aus der eigenen Perspektive gesehen und interpretiert. Der eine sieht die Weite des Horizonts, der andere stellt die Farben in den Vordergrund, der dritte sieht den einsamen Menschen in der Ferne.
Viele Missverständnisse und auch Konflikte basieren darauf, dass unterschiedliche Wirklichkeiten existieren und jeder einen Sachverhalt oder eine Situation aus seinem eigenen Bezugsrahmen sieht. Deshalb rege ich an, viel mehr über vermeintlich Selbstverständliches zu sprechen: in Organisationen, in der Führungskraft-/Mitarbeiter*in-Beziehung, innerhalb des Teams.
Fragen wie "Was meinst Du mit...", "Was verstehst Du unter.." , "Beschreibe mir wie Du... siehst" ist der erste Schritt zum Verstehen, Gegenüberstellen und Abgleichen beider Sichtweisen und damit zu guter Kommunikation.
Sie und/oder Ihr Team wollen reflektieren, abgleichen und sich weiter entwickeln?
Zögern Sie nicht, sprechen Sie mich an.