Rollenkompetenz ist zunächst mit Rollenklarheit verbunden.
Wer eine Führungsrolle ausübt, hat grundsätzlich mehrere Rollen inne und diese stehen immer mal wieder in Konflikt zueinander.
In der Beratung und im Coaching von Führungskräften ist es im ersten Schritt oft sinnvoll, der Führungskraft die Vielfalt ihrer Rollen in der Führungsaufgabe bewusst zu machen und zu reflektieren, denn es ist nicht nur „die eine Führungsrolle“, die ausgefüllt wird.
Das 3-Welten-Modell des systemischen Beraters und Transaktionsanalytikers Bernd Schmid lässt sich gut zur Bewusstmachung und Reflexion der Rollenvielfalt nutzen.
Das Modell geht davon aus, dass die Persönlichkeit aus dem Zusammenwirken der organisatorischen, professionellen und privaten Rollen in Wirkung kommt.
Diese Rollen wirken auf die Persönlichkeit in der Führungsrolle und
können zueinander in Konflikt geraten.
Das 3-Welten-Modell der Persönlichkeit
In der organisatorischen Rolle bin ich z.B. Abteilungsleiter Vertrieb in einem Handelsunternehmen. Parallel zu dieser Führungsrolle bin ich in der Organisation noch Projektmitglied im Projekt „Kundenzufriedenheit“, Mitglied im Personalentwicklungskreis Vertrieb sowie im Prüfungsausschuss für Auszubildende und Mentorin für eine junge Führungskraft. In der organisatorischen Rolle wirken z.B. auch die Werte und Kultur der Organisation, die eigene Historie im Unternehmen und die Beziehungsgeflechte untereinander.
Allein aus der Rollenvielfalt der organisatorischen Rollen heraus können sich Interessen/-Konflikte ergeben, denn die Rollen beinhalten unterschiedliche Aufgaben, Inhalte und Ziele.
In der professionellen Rolle bin ich z.B. Betriebswirtin, ausgebildete Coach und habe einen MBA in internationalem Management. In diese Rolle fließen z.B. auch Erfolge, Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie Entwicklungsmöglichkeiten ein.
In der privaten Rolle bin ich Ehefrau, Mutter, Tochter, Freundin, Vereinsmitglied, in sozialen Netzwerken aktiv um nur einige zu nennen. Hier fließen meine privaten Werte, Ziele, Wünsche und Möglichkeiten mit ein.
Im ersten Schritt gilt es, alle Rollen, die ich ausübe, zu erfassen und zu reflektieren.
Im zweiten Schritt ist es wichtig, Bewusstheit zu erlangen, dass in der Führungsrolle
meine Führungs-/ Persönlichkeit aus dem Zusammenwirken aller meiner Rollen entsteht.
Innere und äußere Konflikte lassen sich so gut reflektieren und identifizieren:
- welche meiner Rollen treten hier aus welchem Grund miteinander in Konflikt?
- welche Interessen und Motive liegen dahinter?
- aus welcher Rolle sollte ich in dieser Situation angemessen handeln?
Ein weiteres Thema ergibt sich aus dem Zusammenspiel der organisatorischen und professionellen Rolle:
Habe ich die erforderlichen Kompetenzen, die ich zur Ausübung dieser organisatorischen Rolle brauche? Damit können fachliche oder methodische Kompetenzen gemeint sein, aber auch Kompetenzen, die im Verhaltensbereich liegen.
Wenn ich in einem Unternehmen Bereichsleiter Vertrieb bin und wöchentlich mehrfach in der Geschäftsleitung oder im Vorstand präsentieren muss, dann gehört dies zu den Aufgaben in meiner organisatorischen Rolle. Wenn dies nicht zu meinem bisherigen Rollenprofil gehörte, dann muss ich mir professionelle Fertigkeiten, wie zum Beispiel Rhetorik, Präsentation und Auftrittskompetenz erst aneignen.
Zwei Beispiele aus der Praxis
Frau Sommer ist seit kurzem Bereichsleiterin Großkundenvertrieb in einem Konzern.
Sie hat sich fachlich und inhaltlich gut eingearbeitet und kommt in der Führung mit ihren Mitarbeitenden gut zurecht. Zu ihrer organisatorischen Rolle gehört es, dass sie in unterschiedlichen Führungskreisen sowie projektbezogenen Arbeitskreisen zur Abstimmung und Verbesserung von Prozessen und Abläufen teilnimmt.
Sie ist also Bereichsleiterin, Mitglied im Führungskreis und Mitglied in zwei Projekten, die mit gleichrangigen Kollegen besetzt sind.
Im Führungskreis und in den Projekten wird regelmäßig hart gerungen, denn jeder vertritt seine eigenen Bereichs-/Interessen. Frau Sommer fühlt sich zunehmend unwohl. Sie hat das Gefühl, dass sie ihre eigenen Interessen nicht durchsetzen kann und spürt, dass sie zu Lasten ihres Bereiches notgedrungen immer häufiger Kompromisse eingeht oder Arbeit aus den Projekten mitnimmt, die sie dann selbst erledigt, damit ihre Ideen berücksichtigt werden.
Im Coaching reflektiert sie, dass es offensichtliche Rollenkonflikte gibt. In ihrer beruflichen Rolle als Bereichsleiterin muss sie die Interessen ihres Bereichs ausreichend vertreten. Gleichzeitig ist es wichtig, auch ganzheitlich zu denken und die Kunden- und Unternehmensinteressen zu berücksichtigen. Privat ist Frau Sommer ein Harmoniemensch. Sie mag keine Konflikte und begegnet Menschen gern kooperativ.
Im Streit lenkt sie schnell ein und es geht ihr nicht gut, wenn sie einen Konflikt mit nach Hause nimmt.
Bei Frau Sommer sind in den Management- und Projektkreisen ihre organisatorische und ihre private Rolle im Konflikt. Da Frau Sommer dies bisher nicht bewusst war und sie ihre Konfliktkompetenz nicht ausreichend trainiert hat, tritt diese ungute innere Spannung auf. Zunächst gilt es für Frau Sommer zu erkennen und anzunehmen, dass das Austragen und Managen von Konflikten zu ihrer organisatorischen Rolle dazu gehört. Wenn sie dies nicht annehmen kann, wird das innere Spannungsfeld auf Sicht zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.
In einem zweiten Schritt hat Frau Sommer im Coaching reflektiert, woher ihr Konfliktverhalten kommt. In ihrer Herkunftsfamilie waren Konflikte mit den Eltern und Geschwistern mit Liebesentzug und Abwertung verbunden. Nur als brave Tochter bekam sie Zuwendung und Anerkennung. Ihre Strategie war es insofern, sich eher angepasst zu verhalten, nach Harmonie zu streben und dem Konflikt so auszuweichen.
Wenn wir uns die Ich-Zustände ( Ich-Zustands-Modell der Transaktionsanalyse) von Frau Sommer ansehen, dann sind ihr fürsorgliches Eltern-Ich und ihr angepasstes Kind-Ich ausgeprägt mit Energie besetzt, ihr Erwachsenen-Ich kann sie situativ gut einsetzen, ihr kritisches Eltern-Ich zum Aushalten von Konflikten und Durchsetzen eigener Interessen sowie das freie Kind- Ich zum spontanen Ausdruck von Gefühlen können Stärkung vertragen.
Frau Sommer konnte das Egogramm ihrer Ich-Zustände gut nachvollziehen und auch verstehen, wie sich diese entwickelt haben.
Im Coaching haben wir im Rahmen einer Persönlichkeitsentwicklung das Thema Konfliktkompetenz, Verhalten in Konfliktsituationen und Abgrenzung und damit die Stärkung des positiv kritischen Eltern-Ich-Zustands in den Fokus gestellt, geübt und reflektiert. Frau Sommer bevorzugt, wenn sie die Wahl hat, zwar immer noch die harmonische Lösung, kann ihre Interessen heute aber wesentlich besser vertreten.
Herr Föller arbeitet als Abteilungsleiter in einem mittelständischen Unternehmen.
Zu seinen Mitarbeitenden gehört Herr Max, ein freundlicher, allseits beliebter Kundenbetreuer, der seine Aufgaben zunehmend immer weniger wahrnimmt.
Herr Max verliert Termine aus den Augen, lässt seine Assistentin Aufgaben wahrnehmen, die originär in seinem Verantwortungsbereich liegen und lässt komplexe Vorgänge mittlerweile so lange unbearbeitet liegen, bis sich der Kunde beschwert. Herr Föller hat Herrn Max bereits einige Male angesprochen und seine Erwartungen formuliert. Das hält genau zwei Tage, dann reißen alte Verhaltensweise wieder ein.
Herr Föller hat ein Gespräch mit der Personalabteilung gesucht, um sich Rat zu holen, was man hier machen könne. Im Unternehmen wird seit einem halben Jahr ein Kulturwandel umgesetzt, der weg von hierarchischem Führungsverhalten hin zu mehr Selbstverantwortung der Mitarbeitenden führen soll. Hier sind auch die (angestrebten) Werte der Organisation zu berücksichtigen, die mitunter eine zusätzliche Hürde bedeuten können.
Die Personalabteilung hat Herrn Föller geraten, Herrn Maxs Selbstverantwortung zu stärken. Herr Föller hat daraufhin nochmals mit ihm gesprochen und an seine Selbstverantwortung in der Aufgabe appelliert. Er hat ihm angeboten, sich wöchentlich zusammenzusetzen und seine Aufgaben zu priorisieren und zu besprechen.
Nach zwei Wochen stellt Herr Föller fest, dass Herr Max die wichtigen Vorgänge seiner Kunden unverändert inhaltlich nicht kennt und wichtige Termine nicht einhält.
Herr Föller kommt in ein Speed-Coaching und möchte Tipps, wie er sich am besten verhalten soll.
Im Coaching reflektiert er seine Rollen im 3-Welten-Modell.
Seine Reflexion ergibt, dass er in seiner organisatorischen Rolle als Abteilungsleiter nicht nur Erwartungen klar formulieren, sondern diese im Kunden- und Unternehmensinteresse auch durchsetzen muss. Wenn Gespräche mit Herrn Max auch über mögliche Ursachen für sein Verhalten (z.B. private oder gesundheitliche Probleme, Suchtverhalten) nicht zu einer Verbesserung führen, gehört es zu seinen organisatorischen Aufgaben, dieses Verhalten zu bewerten und arbeitsrechtliche Maßnahmen einzuleiten.
Herr Müller wird nach Ausschöpfen konstruktiver und unterstützender Möglichkeiten
um eine Abmahnung nicht herum kommen, auch wenn er diese aus seiner privaten Rolle heraus (er mag Herrn Max persönlich und geht ungern in einen Konflikt) versucht hat zu vermeiden.
Erschwerend kommt hier die Haltung der Personalabteilung im Kontext zur Kulturveränderung hinzu. Aber auch hier gehört es zu den rollen-immanenten Aufgaben von Herrn Müller, sich diesbezüglich im Interesse des Unternehmens durchzusetzen.
Wenn Sie mehr über das 3-Welten-Modell erfahren möchten oder eine Reflexion einer konkreten Situation aus Ihrem beruflichen Kontext wünschen, sprechen Sie mich gern an. Ich biete Ihnen auf Wunsch Supervision ihrer beruflichen Situationen, Persönlichkeitsentwicklung durch Coaching oder einmaliges Sparring.
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