· 

Spannungsfelder in der Führungsrolle

 

Die Führungsrolle von heute beinhaltet sowohl das Managen von Konflikten, das Ausbalancieren von Gegensätzen und das Fördern der Entwicklung von Mitarbeitenden in ihrer Persönlichkeit und Rolle.  Das ist mitunter mit inneren Spannungsfeldern und Stress verbunden, denn unser Umfeld wird immer komplexer und bleibt unsicher.

 

Wenn wir uns die wichtigsten psychologischen Grundbedürfnisse von Menschen ansehen, sind dies Bindung, Autonomie und Selbstwert. Wenn diese Grundbedürfnisse erfüllt sind, machen wir die Erfahrung von Selbstwirksamkeit und Zufriedenheit. Wenn es doch nur so einfach wäre:
die Bedürfnisse widersprechen sich untereinander und können, wenn uns dies nicht bewusst ist, zu Unausgeglichenheit und psychischem wie physischem Unwohlsein führen. Bewusstheit über unsere in Rolle und Person angelegten individuellen Ambivalenzen und die Positionierung hierzu können uns dabei unterstützen, diese Spannungsfelder auszubalancieren.

 

Das Bedürfnis Bindung befindet sich im Spannungsfeld Nähe und Distanz. Eine tragfähige Beziehung baut auf Bindung auf. Bindung zu Kollegen und Mitarbeitenden kann nur aufbauen, wer Nähe sucht und zulässt.  Nähe zulassen bedeutet, sich nicht nur im strahlenden Licht, sondern sich anderen auch mit den eigenen Unzulänglichkeiten zu präsentieren. Gleichzeitig ist es für Führungskräfte wichtig, auf Distanz gehen zu können, ohne sich einsam zu fühlen. Und es bedarf der Fähigkeit, bei räumlicher Distanz weiterhin Vertrauen zu schenken – das Homeoffice lässt grüßen. 

Hierzu kommt die jeweilige Persönlichkeitspräferenz, denn wir Menschen tendieren naturgemäß eher zu einem der Pole, was sich insbesondere unter Stress zeigt. 


Im Coaching von Führungskräften aller Ebenen mache ich die Erfahrung, dass Menschen ihre Präferenz und deren Wirkung auf andere oft nicht kennen. Neue Führungskräfte überziehen aus Unsicherheit zuweilen in die eine oder andere Richtung, gerade weil sie sich innerlich noch nicht ausbalanciert haben. Entweder sind sie zu nah, so dass sie eher die Klassensprecherfunktion in ihrem Team wahrnehmen und unbequeme Gespräche und Konfrontationen vermeiden. Dahinter steckt die Befürchtung, bei unpopulären Entscheidungen nicht mehr gemocht zu werden. Oder sie meinen, sie müssten jetzt große Distanz aufbauen, um Akzeptanz zu erlangen und sich in ihrer neuen Rolle sicher zu fühlen. 

Beides ist für die persönliche Autorität und Glaubwürdigkeit wenig vorteilhaft. 
Bei einem Wechsel der Hierarchiestufe ist wiederum zu beobachten, dass sich Nähe und Distanz zu Mitarbeitenden und Kollegen neu einpendeln müssen. 
Das Bedürfnis Autonomie bewegt sich zwischen Freiheit und Sicherheit. Gerade diese Polarität kann auch ein andauerndes Lebensthema sein. Beide Werte bedingen einander. 

In der Führungsrolle bedeutet Freiheit, Entscheidungen frei zu treffen, sich zu trauen, innovative Ideen auszuprobieren, Gestaltungsspielraum zu nutzen und in seinem Handeln so weit in der Rolle möglich, unabhängig zu sein. Gleichzeitig brauchen wir so viel an psychologischer Sicherheit und einen eingrenzenden Orientierungs-Rahmen, dass wir angstfrei entscheiden und agieren können. 


Psychologische Sicherheit bedeutet auch das Wissen darum, dass ich Fehler machen darf, dass ich nicht alles können muss und lernen darf. 
Der Umgang mit diesem Spannungsfeld ist im Coaching von Führungskräften häufiger Thema. Die Angst davor, Fehler zu machen ist z.T. tief verinnerlicht. Die Sorge, eine falsche Entscheidung zu treffen und dafür sanktioniert zu werden und an Ansehen zu verlieren, treibt viele Manager um. In der Folge überträgt sich diese Angst auch auf die Mitarbeitenden eines Teams und zunehmende Absicherungsmentalität ist eine beobachtbare Verhaltensweise.

 

Der Selbstwert entwickelt sich zwischen Einzigartigkeit und Zugehörigkeit.  Auch diese Pole müssen ausbalanciert werden. Um ein gutes Selbstwertgefühl zu entwickeln bedarf es der Bewusstheit um die eigene Einzigartigkeit, das Wissen darum, was mich als Persönlichkeit ausmacht. Gleichzeitig ist das Bedürfnis nach Zugehörigkeit evolutionäres Erbe unserer Vorfahren. Wenn ich zur Sippe nicht dazugehöre und ausgestoßen werde, ist mein Überleben bedroht. Übertragen auf Organisationen bedeutet dies, mit meiner Einzigartigkeit nicht zum Außenseiter zu werden, um von der Organisation nicht abgestoßen zu werden. Gerade jetzt wird der Ruf nach Querdenkern laut, die über eine große innere Unabhängigkeit verfügen (müssen), sodass sie sich trauen, innovative, unpopuläre Ideen zu entwickeln und diese auch gegen Widerstand zu vertreten. Viele Organisationen tun sich mit echtem „Querdenkertum“ trotz lauter Rufe in der Praxis jedoch noch schwer. 

Die neue Führungskraft kam mit dem Wunsch ins Coaching, in ihrer Führungsrolle Ecken und Kanten entwickeln zu wollen. Dahinter stand der Wunsch nach Weiterentwicklung des Selbstwerts durch Einzigartigkeit. Hier haben wir zunächst an der Stabilisierung des Selbstwerts und später am Führungsverständnis gearbeitet. Eine andere Führungskraft hatte nach einem Unternehmenswechsel Schwierigkeiten sich zu integrieren bzw. spürte starke Abwehr durch andere Führungskräfte und Kollegen auf gleicher Ebene. Der Wunsch nach Zugehörigkeit war menschlich, der erlebte Anpassungsdruck fast existenziell. 

 

Darüber hinaus gibt es je nach Kontext weitere Spannungsfelder, die es zu managen gilt. Im Beziehungsmanagement neben der Ausbalancierung von Nähe und Distanz auch die Balance zwischen Team und Individuum. Um ein funktionierendes Team zu führen, ist die Gleichbehandlung im Sinne Informationsfluss, Kommunikation und Förderung aller wichtig. Gleichzeitig ist das individuelle Eingehen auf die Bedürfnisse des Einzelnen unabdingbar. 

Die Balance ist insofern wichtig, als zu starke Fokussierung des Teams die Bedürfnisse und Einzigartigkeit des Einzelnen vernachlässigen würde, eine zu starke Konzentration auf den einzelnen Mitarbeiter führt schnell zu Unzufriedenheit und Benachteiligung anderer. Führungskräfte neigen dazu, ihren Leistungsträgern individuell mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Hierbei ist wichtig, auch stillere oder unauffälligere Teammitglieder wahrzunehmen.

Das Balance Modell der Führung (S. Grote 2009) zeigt weitere Pole, die es auszubalancieren gilt:

 

Aufgabenmanagement

1

Tagesgeschäft

vs.

Strategie

 

2

Selbermachen

vs.

Delegation

Beziehungsmanagement

3

Nähe

vs.

Distanz

 

4

Team

vs.

Individuum

Veränderungsmanagement

5

Reflexion

vs.

Umsetzung

 

6

Optimierung

vs.

Innovation

Mikropolitisches Management

7

Authentizität

vs.

Repräsentation

 

8

Autonomie

vs.

Integration

 Quelle: S. Grote (2009) Das Balance-Inventar der Führung

 

Was ist die Quintessenz aus Vorgenanntem:

Die eigentliche Führungsaufgabe besteht aus dem Managen von Spannungsfeldern, immer wieder aufs Neue. Wenn ich Klienten und Seminarteilnehmer frage, dann kommen zu den genannten Ambivalenzen oft weitere hinzu, die sich aus der jeweiligen Person und Rolle im Unternehmen ergeben. Konflikte können zusätzlich durch Rollenunklarheit entstehen, denn viele Führungskräfte denken, mit ihrer Position haben sie nur eine Rolle inne. Freuen Sie sich hierzu auf meinen Beitrag im Impulsletter Januar zu den unterschiedlichen Rollen im Unternehmen.

Selbstreflexion und Feedback durch kollegiale Beratung sind wichtig für die Entwicklung und das Ausbalancieren der unterschiedlichen Ambivalenzen. Coaching im Sinne Sparring und Persönlichkeitsentwicklung kann darüber hinaus zu mehr Souveränität führen. 


Die schlechte Nachricht zuerst: 

„Wegmachen“ lassen sich diese Spannungsfelder nicht. Im Gegenteil, Ambivalenzen werden künftig eher zunehmen.

Die gute Nachricht: 

Die Haltung dazu lässt sich entwickeln und verändern und mit der Haltung verändert sich auch die Herangehensweise und die Wirkung auf das Umfeld.

 

Sie haben Fragen? Sprechen Sie mich gern an.

Ihre 

Kathrin Rehbein

Copyright für den Artikel: Kathrin Rehbein - Teilen ja, kopieren nein.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0